Freitag, 24. Februar 2017 Börde | 17
Volksstimme
Die Stimmung unter den rund 500 Rassegef ügel-züchtern des Kreisverban-des Börde ist gedrückt.
Die Ohnmacht, scheinbar nichts gegen die landes-weite Aufstallpf icht des Gef ügels unternehmen zu
können, schlägt langsam auch in Wut um. Wut da-rüber, dass niemand den Rassegef ügelzüchtern
Gehör schenkt.
Von Yvonne Heyer
Oschersleben ● „Wir fürchten um das Kulturgut der Rassegefl ü-gelzucht. Unsere Züchter sind weiterhin über Deutschlands Grenzen hinaus für die hoch- wertigen Tiere bekannt. Aus unseren Reihen kommen sogar Europameister“, macht Kreis-vorsitzender Peter Melichar als Vertreter von 500 Züchtern, darunter 40 Jugendliche, deut-lich. Peter Melichar wie auch Kreisjugendwart Bastian He-ring, der Hamersleber Rassege-fl ügelzüchter Frank Meyer und der Pressewart des Kreisver-
bandes Börde, Reinhard Falke,sehen nicht nur die Nachzucht des Rassegefl ügels bedroht, et-liche Arten stehen bereits auf einer Roten Liste und sind in ihrem Fortbestand bedroht. Sie fragen sich auch, wo in dieser Situation die Tierschützer mit ihrem Veto bleiben. Mit der Aufstallpfl icht könne vor allem bei Groß-und Wassergefl ügel von einer artgerechten Hal-tung nicht mehr die Rede sein.
„Mit dem Tag der Stall-pfl icht haben meine Hühner aufgehört zu legen.“Züchter Reinhard Falke
Die seit dem 26. November geltende Aufstallpfl icht habe für die Rassegefl ügelzüchter und Geflügelhalter weit rei-chende Folgen, die der Ummen-dorfer Züchter und Mitglied des Kreisvorstandes, Reinhard Falke, so beschreibt: „Mit dem Tag der Stallpfl icht haben mei-ne Hühner aufgehört zu legen.Das heißt, ich kann momen-tan keine Eier sammeln, die eigentlich Mitte März in die Brutmaschine gekommen wären. Die Nachzucht meiner Zwerghühner ist damit gefähr-det. Zumal auch die Hähne nicht sehr aktiv sind“, macht der Züchter deutlich. Er sei kein Einzelfall. „Das Leben wird uns Züchtern, vor allem aber den Tieren, sehr schwer gemacht. Mit artgerechter Haltung hat das alles nichts mehr zu tun“,betont Frank Meyer.
Die Aufstallpfl icht bedeutet für Züchter und Gefl ügelhalter,dass die Tiere im Stall bleiben müssen. Es sei denn, ein Aus-lauf könne durch eine Folie und ein besonders enges Netz so ab-gedichtet werden, dass kein Kot von Wildtieren in den Auslauf gelangen kann. „Das können nicht alle von uns. Prekär wird es für jene, die viele Tiere und zu kleine Ställe haben. Die Bestände werden also drastisch reduziert. Wer Zwerghühner und große Ställe hat, hat kaum Probleme. Besonders betrof-fen sind hingegen die Züchter von Wassergefl ügel. Tiere, die sich nicht wohlfühlen, werden keine hochwertigen Nachkom-men hervorbringen“, sind sich die Züchter sicher.
Wenn Reinhard Falke davon spricht, dass er Mitte März nor malerweise die Brutmaschine bestückt, hat dies einen beson-deren Grund. „Im November,Dezember fi nden in der Regel die ersten Gefl ügelschauen statt. Die Tiere brauchen ein gutes halbes Jahr, um sich zu entwickeln, ‚reif‘ für eine Aus-stellung zu sein. Wenn wir jedoch bis April/Mai eine Auf-stallpfl icht haben, werden sich die Tiere nicht entsprechend entwickeln. Sie brauchen den Auslauf, die Sonne, das Schar-ren und Ticken im Sand“,macht Falke deutlich. Das Ge-fl ügel sei schon jetzt weniger vital, an Füßen und Gesichtern sei bereits zu erkennen, dass die Tiere leiden.
„Die Gänse gehen die Wände hoch, sie machen sich die Flügel kaputt.“Züchter Klaus Punthöler Seine Höckergänse, die der Schermcker Klaus Punthöler seit 1970 züchtet, sind selbst über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. 2012 wurde der Schermcker gar Europa-meister. Doch was jetzt mit seinen Tieren geschieht, sieht er sehr problematisch. „Die Gänse gehen die Wände hoch,sie machen sich die Flügel ka-putt. Man kann Wassergefl ü-gel nicht in Ställen halten“,sagt er klipp und klar. „Es ist Tierquälerei. In diesem Jahr wird es wohl keine Gössel ge-ben“, davon ist Klaus Punthö-ler überzeugt. Denn die Gan-ter werden nicht treten, auch das seien Auswirkungen des Eingesperrtseins. „Die Ganter müssten aber jetzt treten, da-mit die Gans in drei Wochen mit dem Legen beginnen kann.Da sehe ich schwarz“, so der Züchter. Und selbst wenn es Gänse-Nachwuchs geben sollte – die Qualität der Tiere wäre nicht die, die Klaus Punthöler in den vergangenen Jahren her vorgebracht hat. „Die ganze Stallpfl icht ist ein Hohn. Un-sere Tiere kommen doch gar nicht mit Wildtieren zusam-men. Besser wäre es, statt der Stallpfl icht Sperrbezirke, drei bis fünf Kilometer von Vogel-grippefunden entfernt, ein-zurichten. Vogelgrippe gibt es schon lange. Aber diese fl ächendeckende Reaktion in Sachsen-Anhalt halte ich für überzogen“, macht Klaus Punt-höler deutlich.
„Ich habe die Befürchtung,dass etliche Züchter aufhören.Sie wollen den Ärger einfach nicht mehr haben. Viele ha-ben schon jetzt ihre Bestände drastisch reduziert. Die Züch-ter haben sich und ihr Hob-by aufgegeben. Niemand hat für die strengen Regelungen in Deutschland und im spezi-ellen Fall in Sachsen-Anhalt Verständnis. Das ist absolute Panikmache. Ich sehe ein Kul-turgut in Deutschland gefähr-det“, ist sich Peter Melichar sicher.Diese Meinung vertritt er erst recht, seit in der vergan-genen Woche bekannt wurde,dass der Landkreis Helmstedt die Aufstallpfl icht mit soforti-ger Wirkung aufgehoben hat.Etliche Orte, die zum Kreisver-band Börde gehören, grenzen unmittelbar an den Landkreis Helmstedt. Am Donnerstag meldete sich ein Völpker in der Volksstimme-Redaktion genau mit der Frage, wieso im nur zehn Kilometer entfern-ten Helmstedt die Stallpfl icht aufgehoben wird und im Land-kreis Börde nicht.
Frank Meyer stehe auch im Kontakt mit Züchtern anderer Bundesländer wie beispiels-weise in Meckleburg-Vorpom-mern. „An dieses Bundesland grenzt unter anderem Polen.Dort gibt es überhaupt keine Stallpfl icht. Erst vor wenigen Wochen haben zahlreiche deutsche Rassegefl ügelzüch-ter an einer internationalen Ausstellung in Frankreich mit mehr als 20 000 Tieren teil-genommen. In Deutschland hingegen sind seit dem 26. No-vember alle Schauen verboten“,macht der Züchter deutlich.Jugendwart Bastian Hering macht sich auch in anderer Hinsicht große Sorgen: „Hö-ren Opa oder der Vater mit der Zucht auf, werden sich auch die Jugendlichen zurückziehen. Da wir ohnehin Nachwuchs-probleme haben, wäre dies fa-tal“, meint er.
Der Kreisverband Börde derRassegefl ügel-züchter wol-le sich an einer Un-t e r-schrif-tenak-tion der Initiative„Vogelfrei“beteiligen.Diese Aktion wurde initiiert, weil sich die Züchter Gehör in der Bun-
desregierung verschaf en wollen. Sie wollen erreichen,dass im Umgang mit der Vogel-grippe generell in Zukunft neue Wege eingeschlagen werden.Damit sich die Bundesregie-rung überhaupt mit dem The-ma beschäftigt, werden bun-desweit 110 000 Unterschriften gebraucht. Unterschriftenlis-ten bekommen interessierte Züchter und Gefl ügelhalter bei Reinhard Falke unter reinhard.falke@generalanzeiger.de.
„Uns ist klar, dass mit der Auf ebung der Aufstallpfl icht im Landkreis Helmstedt für uns die Argumentation, die Stallpfl icht aufrechtzuerhal-ten, schwieriger wird und un-terschiedliche Diskussionen im Gang sind“, so Hans-Joa-chim Krohm, Fachdienstleiter des Veterinäramtes im Land-kreis Börde.Hans-Joachim Krohm kann Rassegefl ügelzüchtern und Ge-fl ügelhaltern angesichts der noch immer grassierenden Vogelgrippe keine Hof nungen machen, dass auch im Land-kreis Börde bald die Aufstall-pfl icht aufgehoben werden kann und wird. „Die stärkste Schutzmaßnahme vor der Ge-fl ügelpest ist nun mal die Zu-rücknahme der Tiere aus dem öf entlichen Bereich. Freilau-fende Tiere sind in keinster Weise geschützt“, verdeutlicht der Kreistierarzt.Wenn im Landkreis Helm-stedt die Stallpfl icht aufge-hoben wurde, so sei das eine Entscheidung dieses Land-kreises und Niedersachsens.
Doch Sachsen-Anhalt und da-mit der Landkreis Börde wür-den eben auch an die Länder Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern grenzen. Die für diese Länder vorliegenden Risikoanalysen würden es nicht zulassen, die Aufstallpfl icht aufzuheben.„Ende Februar werden wir erneut beraten. Eine Entscheidung ist nicht vorhersehbar.“Kreistierarzt Hans-Joachim Krohm„Da bis heute noch Nach-weise für die Gefl ügelpest vor-liegen und auch das FriedrichLöf er-Institut (FLI) eine entsprechende Risi-kobewertung vorgelegt hat,kann ich kein Datum zur Auf e-bung der Stallpfl icht nennen.Kann und möchte ich auch keine Prognosen abgeben“,macht Hans-Joachim Krohm weiterhin deut-lich. Die räumliche Nähe zu positiven Befunden bei Wildtieren und in Stallanla-gen würden keine andere Ent-scheidung zulassen. Am 29.Januar war bei Heinrichsberg ein tote Wildente gefunden worden. Bei ihr konnte H5N8 nachgewiesen werden und da-mit war die Vogelgrippe auch im Landkreis Börde angekom-men. Nach einem letzten Fund müsse eine Karenzzeit draufge-schlagen werden, müsse eine gewisse Anzahl an Tagen seit dem letzten Ausbruch vergan-gen sein, ehe an die Auf ebung der Stallpfl icht gedacht werden könne. „Ende Februar werden wir erneut beraten. Eine Ent-scheidung ist jedoch nicht vor-hersehbar, so lange es noch po-sitive Befunde gibt“, so Krohm.
„Die Fronten zwischen uns Züchtern und dem Ministerium sind verhär-tet.“Dieter Kuhr, Vorsitzender Landesver-band Rassegeflügelzüchter .Laut einer Mitteilung des Umweltministeriums Sach-sen-Anhalt hätten Züchter und Halter die Möglichkeit, einen Antrag auf Sondergenehmi-gung zur Aussetzung der Auf-stallpfl icht beim Landkreis zu stellen. Entsprechende Anträ-ge seien in der Kreisbehörde auch eingegangen. „Sie wur-den alle negativ beschieden“,teilt der Fachdienstleiter mit.
Am 19. März wird der Lan-desverbandstag der Rassege-fl ügelzüchter Sachsen-Anhalts in Güsten stattfi nden. „Wir ha-ben alle Landtagsfraktionen und auch Ministerin Claudia Dalbert eingeladen. Dort wol-len wir Tacheles reden und auf unsere Probleme aufmerksam machen. Auch haben wir ein Gremium, bestehend aus Viro-logen, Züchtern und Tierärzten gebildet. Zudem stehen wir in Verbindung mit der Bundesre-gierung“, das sagt Dieter Kuhr, 1. Vorsitzender des Landesver-bandes der Rassegefl ügelzüch-ter. Er steht damit 6000 Züch-tern, 420 Jugendlichen in 20Kreisverbänden vor.
Schon für dasvergangene Jahrhabe er fest-stel-len müs-sen, dass die Beringungs-zahlen und damit die Tierzahlen deutlich zurück gegangen sind.Für Dieter Kuhr sind seit der verordneten Aufstallpfl icht und damit mit dem Verlauf der Vogelgrippe viele Fragen entstanden, die nicht beant-wortet sind. „Die Fronten zwi-schen uns Züchtern und dem Ministerium sind verhärtet.Das Ministerium entscheidet nichts, versteckt sich hinter dem Löf er-Institut. Freie Viro-logen, die oft nicht anerkannt werden, und auch Professoren bezweifeln die Ergebnisse des Instituts. Vor allem, was die Untersuchungen in Massen-tierhaltungen anbelangt. Wie kann es hier zum Ausbruch derKrankheit kommen? Durch an-dere Tiere von außen? Werden Seuchenschutzbestimmungen nicht eingehalten? Es gibt in-zwischen in anderen Bundes-ländern (wie Rheinland-Pfalz)Veterinäre, die die strengen Aufstallbestimmungen nicht mehr mittragen wollen, weil sie ein Frevel am Tierschutz darstellen“, berichtet DieterKuhr. Dass Wildvögel, Enten oder Schwäne auch ganz nor-mal sterben, an Hunger oder aus Altersgründen, scheint in dieser Zeit nicht mehr vorzu-kommen.
Das Aktionsbündnis „Vo-gelfrei“ stellt auf seiner In-ternetseite ähnliche Fragen wie Dieter Kuhr. Wieso bre-che bei sinkenden Fallzahlen im Wildvogelbereich und der schon vor Monaten ausgeru-fenen Stallpfl icht die Seuche dennoch in Gefl ügelbetrieben aus? „Seltsam, angesichts der Tatsache, dass es hier aufgrund der Stallpfl icht und Sicher-heitsmaßnahmen eigentlich nicht mehr zu Eintragungen des H5N8-Virus hätte gekom-men sein dürfen“, heißt es auf der Internetseite.
Nach wie vor würde gelten:H5N8 sei in nur vergleichswei-se wenigen Fällen bei Wild-vögeln gefunden worden und sei nicht auf den Menschen übertragbar. „Deswegen weh-ren wir uns gegen die Stall- pfl icht als ‚fl ächendeckende Maßnahme‘, gegen Keulungen gesunder Tiere. Wir wollen Vorschläge machen, wie man anders verfahren kann und streben langfristig die Über-arbeitung der bestehenden Ge-fl ügelpestverordnung an sowie die Auf ebung der generellen Stallpfl icht. Keulungen auf Ver-dacht darf es nicht mehr ge-ben“, fordert das Bündnis.
Die Volksstimme hakte im Umweltministerium Sachsen-Anhalts nach, ob die strengen Regelungen zur Stallpfl icht für Rassegefl ügelzüchter nicht ge-lockert werden können. Darauf antwortete Pressesprecherin Tanja Ries. „Die Aviäre Infl u-enza ist eine für Gefl ügel und andere Vögel hochgradig an-steckende Viruserkrankung, ,die in Gefl ügelbeständen (dazu gehört auch Rassegefl ügel)schnell epidemische Ausmaße annehmen kann. Wegen dieses aktiven Seuchengeschehens besteht in Sachsen-Anhalt nach wie vor die landesweite Aufstallungspfl icht.“Der Erreger sei seit Novem-ber in Sachsen-Anhalt in vier Gefl ügelhaltungen, einem Tierpark und sowie bei 17 Wild-vögeln nachgewiesen worden.Bislang mussten nach Aus-bruch der Gefl ügelpest rund 43 000 Tiere in Sachsen-Anhalt getötet werden. Noch immer könne keine Entwarnung ge-geben werden. „Die letzten be-stätigten Fälle waren Anfang Februar eine Wildente in Land-kreis Börde sowie ein Schwan im Landkreis Jerichower Land,so dass das Ansteckungsrisi-ko momentan noch immer als sehr hoch eingeschätzt werden muss. Erst wenn es einige Wochen keine neuen Verdachtsfälle gibt, wird die Aufstallungspfl icht zuerst in den Nicht-Risiko-Gebieten und dann im gesamten Land aufge-hoben. Einen konkreten Zeit-punkt kann ich derzeit nicht benennen“, heißt es weiter in der Pressemitteilung. Weiter heißt es, dass ein besonderes Risiko bestünde für Gefl ügelhaltungen in der Nähe von Wasservogelrast-und Wildvogelsammelplätzen,einschließlich Ackerfl ächen, auf denen sich Wildvögel sam-meln. Dies gelte auch für Ras-segefl ügel, da diese Tiere hoch-empfänglich gegenüber dem Gefl ügelpestvirus seien. Wildvögel allein könnten für die Verbreitung der Gefl ü-gelpest nicht verantwortlich gemacht werden. Bei den bis-her in Deutschland verzeich-neten 76 Ausbrüchen (Stand 9.Februar 2017) geht das Löf er-Institut in den meisten Fällen von einem direkten oder indi-rekten Eintrag über kontami-niertes Material wie Schuh-werk, Fahrzeuge, Gegenstände als wahrscheinlichste Infekti-onsquelle aus.
Bastian Hering, Frank Meyer, Reinhard Falke und Peter Melichar (von links) sorgen sich um die Zukunft der Rassegeflügelzucht. Sie sehen
die Stallpflicht als sehr problematisch an. Foto: Yvonne Heyer
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