Spiegel

Seehofer will mehr Gen-Freilandversuche
Die Bundesregierung mahnt eine intensivere Forschung mit genveränderten Pflanzen an - auch auf dem Acker. Ob die Hersteller für Schäden auch haften werden, ist unklar. Experten halten die Marktchancen der grünen Gentechnik für weit überschätzt.


Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag winkt ab: Gentechnisch veränderte Pflanzen könnten nicht die erhofften Chancen bringen. Deren Marktpotenziale würden häufig überzeichnet, hieß es. Die Experten stellten einen Bericht über Potenziale der nächsten Generationen von Gen-Pflanzen vor.

Transgen: Diese Maispflanze des US-Herstellers Monsanto soll resistent gegen eine Krankheit sein
Besonders Pflanzen zur Pharma-Anwendung erforderten neue Sicherheitsmaßnahmen. Der Bericht wurde bei einem Fachgespräch des Bundestags-Forschungsausschusses vorgestellt und auch im Internet veröffentlicht.

Im Zusammenhang der Expertendiskussion wurde klar, dass die Bundesregierung die Forschung mit transgenen Pflanzen forcieren will. Kontrollierte Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen dürfe nicht verboten werden, hat Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) gefordert.

Er und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) suchten nach Regelungen zur Risikobegrenzung beim umstrittenen Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft - zunächst ergebnislos. Bisher ist offen, ob ein Haftungsfonds mit den Pflanzenzüchtern für den Verunreinigungsfall zu Stande kommt.

Dieser bedroht besonders Ökobauern, die ihre Ernte nach einer Kontamination mit Pollen von transgenen Pflanzen nicht mehr an ihre Abnehmer verkaufen könnten. Seehofer sagte, erst in der vergangenen Woche habe die mit Gentechnik befasste Wirtschaft ihre Verhandlungsbereitschaft in Sachen Haftungsübernahme signalisiert.

Der Landwirtschaft- und Verbraucherschutzminister betonte einerseits, die Forschung in diesem Bereich müsse intensiver werden. Andererseits müssten die Ängste in der Bevölkerung berücksichtigt werden.

Derweil sind erstmals in Deutschland gentechnisch veränderte Kartoffeln zur Gewinnung von Impfstoffen ausgepflanzt worden. Bei dem von der Universität Rostock betriebenen Versuch in Groß Lüsewitz sollen die Feldfrüchte auf ihre Eignung zur Produktion von Impfstoffen getestet werden, wie Projektleiterin Inge Broer mitteilte. In den USA und Skandinavien gibt es solche Versuche bereits seit längerem. In Deutschland gab es bislang nur Freilandversuche mit veränderten Stärkekartoffeln.

Skepsis, Proteste und Vandalismus

Die nun freigesetzte Zuchtlinie produziert einen Kaninchenimpfstoff. Der Naturschutzbund sieht das als eine Gefahr für Mensch und Umwelt an. Rund 1800 Einwendungen gegen den Versuch waren nicht erfolgreich.

Immer wieder hatten Skeptiker in der Vergangenheit vor Freilandversuchen gewarnt. Gengegner zerstörten wiederholt die Pflanzen auf Forschungsäckern:

An Pfingsten hatten selbsternannte FeldbefreierInnen ein Fünftel eines Versuchsfelds bei Gießen zerstört. Dort war genetisch veränderte Gerste angebaut worden. Einige der Aktivisten verbrachten die Feiertage in polizeilichem Gewahrsam.
Bei Borken demonstrierten Gen-Gegner im Mai vor einem Feld, auf dem der US-Saatgutkonzern Monsanto eine Maisvariante anbaut, die gegen eine Krankheit resistent sein soll.
In Wolfratshausen, der Heimat von Edmund Stoiber, hatten Demonstranten im März den bayerischen Ministerpräsidenten im Zusammenhang mit der grünen Gentechnik vor dem größten "Freilandversuch der Geschichte" gewarnt. Seinen Parteifreund und Bundeslandwirtschaftsminister hatten sie als "Horst Genhofer" verspottet.
Der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes, Manfred Nüssel, warnte vor einer "pauschalen Stigmatisierung der Gentechnik". Genveränderte Pflanzen würden zwischenzeitlich außerhalb Deutschlands auf 90 Millionen Hektar angebaut. Dies sei zwei Mal so groß wie die Gesamtfläche Deutschlands. "Die Frage kann also für uns nur sein, ob wir aktiv mit dabei sein wollen oder uns darauf beschränken, von der Hinterbank aus zuzusehen", sagte Agrarfunktionär. Bundesweit ist derzeit ein Anbau von transgenem Mais auf rund 1900 Hektar vorgesehen.

stx/AP/dpa