Interview
05.05.2006
Die Stallpflicht nutzt gar nichts
Amtstierarzt des Kreises Prignitz warnt vor Hysterie in Sachen Vogelgrippe
Seit dem letzten Herbst durften Hühner, Puten und Gänse in Deutschland nur selten ins Freie. Aus Angst vor dem Vogelgrippe-Virus H5N1 wurde eine monatelange Stallpflicht verhängt. Agrarverbände wie der Bauernbund Brandenburg haben die Maßnahme stets als überzogen kritisiert. Auch Siegbert Meseck, Amtstierarzt des Kreises Prignitz, sieht das so. Mit ihm sprach Martin Usbeck.
Herr Meseck, halten Sie die Stallpflicht für Geflügel für angemessen, um die Verbreitung der Vogelgrippe einzudämmen?
Meseck: In der jetzigen Form ist die Stallpflicht völlig überzogen. Alle Länder um uns herum haben sie ja mittlerweile auch aufgehoben. Da ist in Deutschland eine regelrechte Hysterie ausgebrochen.
Das Friedrich-Loeffler-Institut für Viruserkrankungen der Tiere hat aber gerade wieder davor gewarnt, dass die Vogelgrippe noch keinesfalls unter Kontrolle ist. Das Virus wurde bisher in 337 Wildvögeln festgestellt und immer noch werden neue gefunden.
Meseck: Nach diesem besonders langen Winter gibt es besonders viele tote Vögel. Auch wenn dort das Virus nachgewiesen worden ist, heißt das nicht, dass es auch in die Geflügelbestände gelangt ist. Es kann durchaus sein, dass Wildvögel auch in den vergangenen Jahren schon mit Vogelgrippe infiziert waren.
Die Ansteckungsgefahr ist aber doch durchaus real.
Meseck: Eine Gefahr für den Menschen ist unter normalen Umständen auszuschließen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch gibt es nach bisherigen Erkenntnissen nicht. In Asien gab es zwar bereits mehr als 100 Todesfälle, die im Zusammenhang mit der Vogelgrippe stehen. Dort leben die Leute aber auch auf engstem Raum mit ihren Tieren zusammen.
Aber müssen nicht zumindest die Tiere vor einer Ansteckung geschützt werden?
Meseck: Schon. Aber was nutzt denn da die Stallpflicht? Der bislang einzige Vogelgrippe-Fall bei Nutzgeflügel in Deutschland betraf Puten, die in einem geschlossenen Stall in Sachsen standen. Das Virus ist dort vermutlich über das Futter eingeschleppt worden. Aber wenn das Futter jetzt draußen wächst, wird kein ordentlicher Landwirt das seinen Tieren vorenthalten.
Kann man gar nichts tun?
Meseck: Doch. Sobald die Seuche irgendwo auftritt, muss sie kompromisslos bekämpft werden. Sobald Tiere erkrankt sind, müssen der ganze Bestand und alle potenziell gefährdeten Tiere im näheren Umkreis getötet werden. So ist es auch in Sachsen geschehen. In den betroffenen Gebieten müssen dann natürlich auch andere Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehört auch das Stallhaltungsgebot.
Und das reicht aus?
Meseck: Ja. Als vor drei Jahren in den Niederlanden die Geflügelpest grassierte, gelang es damit, die Seuche innerhalb der Landesgrenzen zu halten und zu eliminieren.
Aus Sicht des Tierarztes: Warum ist es ein Problem für die Tiere, wenn sie länger im Stall bleiben müssen?
Meseck: Wassergeflügel beispielsweise pflanzt sich nur im Wasser fort. Jungtiere wird man in diesem Jahr möglicherweise überhaupt nur im Ausland kaufen können. Und ganz generell kann bei einigen Vogelarten, wie zum Beispiel Gänsen, im Stall nicht von einer artgerechten Tierhaltung gesprochen werden.
Was bedeutet das für die Betriebe?
Meseck: Der volkswirtschaftliche Schaden ist immens. Die von der EU zugesagten Ausgleichszahlungen decken nur einen Teil dieser Verluste ab. Weitere Risiken kommen auf die Bauern zu. So können die Eier der wegen der Vogelgrippe eingestallten Hühner nur noch bis zum 12. Mai als Freilandeier verkauft werden. Über eine mögliche Aufhebung der Stallfrist wird aber erst am 15. Mai entschieden.
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