Hallo,
ich bin gestern auf einen Bericht gestossen, den ich sehr interessant fand. Er stammt von GRAIN, einer internationalen non-gouvernementalen Organisation, die sich für dauerhaftes Management und Nutzung von landwirtschaftlicher Biodiversität unter der Kontrolle der lokalen Bevölkerung über die genetischen Ressoucen einsetzt.
Der ganze Bericht ist hier (englisch): http://www.grain.org/briefings/?id=194#
Kann ich nur jedem empfehlen!
Ich habe mir mal die Zeit genommen und einen Teil davon übersetzt.
Die Aussage ist: Kleinhaltungen und Wildvögel werden zu Unrecht für die Vogelgrippe-Krise verantwortlich gemacht, die nun weite Teile der Welt betrifft. Die Geflügelindustrie selbst ist zu grossen Teilen an der Entstehung und Ausbreitung des Virus verantwortlich und muss im Zentrum der Anstrengungen liegen, die Ausbreitung zu kontrollieren.
Die Wildvögel und Kleinhaltungen sind nicht Täter, sondern Opfer.
Die niedrig pathogene Variante des H5N1 existiert schon lange in einigermassen friedlicher Koexistenz mit "Hinterhofgeflügel" und Wildvögeln, ohne diese auszurotten oder zu mutieren. Das Problem der Mutation ist est dann gegeben, wenn eine hohe Besatzdichte vorliegt.
Die hoch pathogene Variante entwickelt sich in Geflügelhaltungen, meist solchen, die den niedrig pathogenen Viren, wie sie in Wildvogelpopulationen vorkommen, ausgesetzt sind. In beengten Geflügelhaltungen entwickelt sich das Virus rasch zu stärker pathogenen und ansteckenderen Formen, die in der Lage sind, die Artengrenze zu überschreiten und zurück zu den Wildvögeln zu springen, die gegen diese neue Form keine Abwehr haben. So gesehen, ist H5N1 ein Geflügelvirus, das Wildvögel tötet, und nicht umgekehrt.
Dasselbe Argument gilt auch für kleine Geflügelhaltungen. Vogelgrippe entwickelt sich nicht zu hoch pathogenen Formen in Hinterhofhaltungen, wo geringe Besatzdichte und genetische Vielfalt die virale Belastung auf einem niedrigen Level halten. Hinterhofhaltungen sind die Opfer von Vogelgrippe-Stämmen, die von anderswo eingebracht werden.
Wenn Hinterhofhaltungen von den Quellen hoch pathogener Vogelgrippe getrennt werden, scheint das Virus zu verschwinden oder sich in eine niedriger pathogene Form zu entwickeln.
Wie wird das Virus verbreitet?
(Ausser durch Wildvögel) Abluft aus infizierten Betrieben (wird kilometerweit getragen), und das Handelsnetzwerk transportiert die Krankheit über vielerlei Kanäle: lebendes Geflügel, Eintagsküken, Fleisch, Federn, Bruteier, Eier, Geflügeldünger, und Tierfutter.
Erfahrungen und Parallelen mit Newcastle Disease (ND) in Australien
Wie die Vogelgrippe gibt es auch ND in niedrig und hoch pathogenen Formen. In seiner endemischen Form ist sie kein grosses Problem, in einer infizierten Herde sterben einige Küken, und nur gelegentlich stirbt eine grössere Anzahl (anfälliger) Tiere.
Das Virus wird jedoch zu einem grossen Problem, sobald es durch irgendeine Lücke in der Biosecurity (z.B. durch Futter, Personal, Eier, Fahrzeuge) oder infizierte Tiere in einen Grossbetrieb gelangt. Sind einige Tiere angesteckt, wird das Virus durch die Lüftung im Stall verteilt. Unter diesen Gegebenheiten kann das Virus zu einer hoch pathogenen Form mutieren und ganze Bestände auslöschen.
Bei dem ND Ausbruch 1998 in Australien starben 10 000 Tiere, weitere 100 000 wurden geschlachtet. Die australischen Behörden waren darauf nicht vorbereitet, hatten sie doch durch strenge Quarantänemassnahmen ihr Land 60 Jahre lang offensichtlich frei von hoch pathogenen Stämmen halten können. Zunächst gingen man davon aus, dass das Virus aus Übersee ins Land gebracht wurde.
Neuere virologische Forschungen ergaben jedoch, dass der Ausbruch passierte, als ein endemischer Stamm des Virus in einen Grossbetrieb eindrang und dort in eine virulente Form mutierte.
Die Antwort der australischen Behörden war jedoch nicht, Hinterhofhaltungen oder Wildvögel als potentielle Überträger zu verfolgen, und sie akzeptierten und sie akzeptierten auch nicht einfach die Erklärungen der Geflügelindustrie was deren "Biosecurity" anging.
Sie führten für Betriebe über 500 Tiere die Pflichtimpfung gegen ND ein. Und Kleinhaltungen? Diese müssen nicht impfen. "Eine sehr milde Form von ND ist in allen Staaten präsent. (...) Allen offenkundigen Anzeichen nach (...) kann eine kleine Anzahl von Vögeln nicht genügend Virus erzeugen um den Mutationsprozess in Gang zu bringen."
Meine persönliche Schlussfolgerung:
ND ist natürlich nicht dasselbe wie die Vogelgrippe, insbesondere was eine eventuelle Krankheit beim Menschen betrifft. Aber interessant ist der Vergleich allemal, zeigt er doch, dass das Virus wahrscheinlich ganz woanders herkommt, als gerne behauptet wird, bzw. die gefährliche Variante geradezu "erzeugt" wird. Und er zeigt auch das Dilemma der aktuellen Situation: Wenn bei uns H5N1 noch wenig verbreitet ist, macht die Aufstallung sehr wohl Sinn, denn sie schliesst zumindest einen Verbreitungsweg (den der Wildvögel) aus, und sie schottet das "Industriegeflügel" vom "Hausgeflügel" ab. Ist das Virus jedoch bereits mehr oder weniger überall verbreitet, hilft wohl nur noch impfen, mit all den Unwägbarkeiten, die das mit sich bringt - denn auf irgendeinem Weg wird das Virus immer wieder auch in industrielle Geflügehaltungen gelangen...
Möglicherweise geht es mit der Aufstallungspflicht auch darum, den ganzen - unaufhaltsamen? - Prozess so stark wie möglich zu verzögern, z.B. so lange, bis ein besserer Impfstoff da ist.
Viele Grüsse
Antje
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