Ich möchte hier nochmal die Chromogen (C) und Oxidase (O) Theorie aufgreifen. Kajosche und ich haben da hinter den Kulissen ein bisschen drüber kommuniziert. Als ich bei Six davon las, war ich überrascht, denn dieser 'Farbverwirklichungsfaktor' war mir in der internationalen Literatur noch nie begegnet, zumal das Kürzel "O" heutzutage der blauen Eifarbe (das 'O' steht für Farbstoff Ooporphyrin) vorbehalten ist. Kajosche hatte weiße Seidis, deren Nachkommen teils wildfarbig waren. Ich habe spekuliert, dass er vielleicht dominant weisse Seidis mit rezessiv weissen verpaart hatte. Bei dominant weissen soll die Hautfarbe nicht schwarz, sondern lila sein. Das lässt sich aber leider nicht mehr überprüfen.

Mit ein bisschen Recherche habe ich folgendes herausgefunden:

Die CC/OO Theorie geht zurück auf die Genetiker Bateson und Punnett (1908 )(1). Hutt (1949)(2) beschreibt deren Versuch. Bateson und Punnett führten 6 Kreuzungen zwischen weissen Silkies mit rezessiv weissen Tieren durch und erhielten “113 vollständig farbige Küken in der F1. Die F2 ergab sowohl farbige als auch helle Küken, mit und ohne Gelb.” Laut der CC/OO Theorie wären die Silkies ooCC und die Rezessive Weissen OOcc.
Die F1 wäre dann OoCc und somit farbig, während die in der F2 die genotypische Verteilung 9 OC : 3 Oc : 3 oC : 1 oc hätten. Da nur der erste dieser 4 Typen gefärbt sein könnte, ist die phänotypische Verteilung 9 farbig : 7 weiss. Der Versuch ergab in der F2 116 farbige : 87 “helle” Küken, was der theoretischen Verteilung 114:89 sehr nahe kommt. Ein entsprechendes Punnett-Diagramm ist bei Six abgebildet.

Hutt schreibt nun weiter: “Aufgrund dieser Argumentation gehen einige Autoren davon aus, dass farbiges Gefieder von dem Vorhandensein zweier Gene abhängt, wovon eines die Ausbildung von Chromogen ermöglicht und das andere die Produktion von Oxidase (vermutlich Tyrosinase). Die weissen Silkies sollen das eine Gen tragen und andere rezessiv weisse Rassen das andere. Dieser Theorie nach lassen sich farbige Vögel als CCOO beschreiben, wobei die Symbole für Chromogen und Oxidase stehen. Soweit es diesem Autoren bekannt ist, ist es allerdings niemandem gelungen, dieses ursprüngliche Experiment zu replizieren und farbiges Geflügel aus zwei reinweissen Eltern zu erhalten. Ausserdem haben Quinn und Godfrey (1937)[4] vier verschiedene Linien weisser Silkies getestet und all diese wiesen nur das normale rezessive Weiss auf, welches auch in anderen weissen Rassen zu finden ist. Es ist möglich, dass die Silkies, die Bateson und Punnett eingesetzt haben, das Pile-Muster hatten [d.h. dominant Weiss trugen], bei dem die rote Farbe zwar präsent aber manchmal fast nicht zu sehen ist, oder dass andere Verdünner oder Restriktoren präsent waren, die diese Vögel praktisch weiss erschienen liessen. Die Tatsache, dass ihre F2-Küken nur als ‘gefärbt’ oder ‘hell’ beschrieben wurden und dass einige der hellen gelblich erschienen, unterstützt diese Annahme. Küken die genetisch farbig sind, bei denen aber das Pigment auf die Flügelspitzen beschränkt ist, wie es bei silbernen oder solchen mit Columbia-Zeichnung üblich ist, sind direkt nach dem Schlupf oft kaum von weissen Küken zu unterscheiden und ihre wahre Natur offenbart sich erst, wenn sie heranwachsen. Es ist durchaus möglich, dass Bateson und Punnett ein komplementäres Weiss vor sich hatten, aber bis zu dessen Wiederentdeckung erscheint es angemessen, davon auszugehen, dass es nur ein Gen gibt, C, welches Färbung zulässt und dass Vögel, die homozygot für dessen Allel, c, sind, rezessiv weiss sind.”

Mit anderen Worten: Hutt verwirft die Theorie schon 1949. Ein Jahr später wird er von Kimball (1950)(3) darin unterstützt. Kimball setzt sich intensiv mit der CC/OO Theorie auseinander unter Bezugnahme auf die biochemischen und operationellen Vorgänge bei der Pigmentproduktion. Sein ausführlich begründetes Urteil lautet: “Rezessives Weiss auf das Nichtvorhandensein von Chromogen oder Oxidase in [solchen] Melanozyten zu beziehen, stellt eine biochemische Absurdität dar.” Weiter beschreibt er, dass Melanin aus einer Vielzahl von Phenol und Polyphenol-Derivativen generiert wird und das solche Stoffe im Pflanzen- und Tierreich so weit verbreitet sind, dass ein “non-chromogen status” einen Mangel darstellen würde, “der mit zellulären Lebensformen unvereinbar scheint.” und dass es so viele Substrate gibt, auf denen Melaninproduktion direkt oder indirekt beruht, dass dessen Kontrolle durch ein einzelnes Gen “extrem zweifelhaft” sei.

Auch 1990 wird die Theorie nochmal aufgegriffen von J. R. Smyth in seinem Kapitel [I}Genetics of plumage, skin and eye pigmentation in chickens[/I] in dem Standardwerk Poultry Breeding and Genetics (5), dass den Wissensstand der 90er darstellt. Der Autor beschreibt Bateson und Punnett’s Experiment und fügt hinzu: “Allerdings scheint niemand seitdem diese Ergebnisse bestätigt zu haben, obwohl Tests mit den ursprünglich genutzten Rassen durchgeführt wurden. Hutt (1949) schlug vor, dass die Silkies möglicherweise dominantes Weiss trugen, was glaubwürdig ist, da die Nachkommen als farbig oder hell beschrieben wurden, einschliesslich einiger gelblicher [Küken]. Es wurde obenstehend schon darauf hingewiesen, dass manche rezessiv Weisse auch dominantes Weiss tragen. Andererseits ist es auch möglich, dass damals eine nun längst verschollene, rezessive, die Melanisierung beeinflussende Mutation existierte oder dass diese vielleicht noch in ungetesteten weissen Tieren weiterhin präsent ist.

Kurzum: die Theorie wird schon seit 1949 stark angezweifelt, denn zur wissenschaftlichen Methodik gehört auch die Replizierbarkeit der Ergebnisse. Auch wenn ich jetzt gehauen werde, ich mag Seidis nicht und werde deshalb auch nicht mit denen experimentieren, aber wer’s austesten will, möge auch auf die Hautfarbe achten.

LG
Ute

Literatur:
(1) Bateson, P. & R.C. Punnett 1908. Experimental studies in the physiology of heredity. Poultry Reports Evol. Comm. Royal Society 4 :18-35.
(2) Hutt, F. B. (1949) Genetics of the Fowl
(3) Kimball, Elliot. Genetics of Feather Pigmentation in the Fowl. The American Naturalist, Vol. 84, No. 816, (May - Jun., 1950), pp. 171-178
(4) Quinn, J.P & A.B. Godfrey 1937. Color-producing genes in White Silkie and White Rose Comb Bantam. Poultry Science, 16, 340:344
(5) Poultry breeding and genetics / edited by R.D. Crawford. Developments in animal and veterinary sciences,22. Oxford ; Amsterdam : Elsevier, 1990