Ich war mal für einige Jahre, hauptsächlich 80er und tlw. 90er Jahre, Abonnent der Geflügel-Börse, in der ich heute noch gelegentlich gerne herumstöbere. Dabei sind mir häufig Fakten und Ansichten aufgefallen - alle aus Züchterhand -, die hier im Forum auf Interesse stoßen könnten. Manchmal sind die Themen zeitlos, manchmal völlig aus der Zeit gefallen, einiges ist mittlerweile überholt, anderes aktueller denn je, vieles scheinbar vergessen oder zumindest in großen Teilen unbekannt. 30, 40 Jahre ist ja in der Hühnerwelt ein recht großer Zeitsprung, aber interessant ist es allemal, wie ich finde. Ich habe deshalb vor, hier in unregelmäßigen Abständen mal so einiges wiederzugeben und freue mich auf eure Meinungen. Ich fang dann auch gleich mal an:
Weiße Wyandotten - Fortschritt oder Rückgang
Ein damals führender Züchter beschreibt in einem relativ kurzen Artikel den Niedergang des Sondervereins aufgrund der nachlassenden Tierqualität und die geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der weißen Wyandotten und damit zur Wiederbelebung des SV. ich fasse kurz zusammen, kursiv ist zitiert:
1988 werden es 100 Jahre, dass das von Fred Houdlett in Boston erzüchtete Huhn in den amerikanischen Standard aufgenommen wurde. Viele Abbildungen und Berichte seither zeigten deutlich, welche Veränderungen bei diesem Huhn, das bei der Erzüchtung einen Landhuhntyp darstellt, vorgenommen worden sind.
Die Legeleistung musste der Schönheit weichen, womit ein steter Rückgang ... der Halter einherging. Die ursprünglich schlanken Tiere wurden fast bis zum Kugeltyp verzüchtet...Es waren in den vorangegangenen Jahren einfach zu viele weiße Orpington eingekreuzt worden: das weiße Wyandotte-Huhn wurde zu groß und zu schwer und legefaul. Oft wurden nicht einmal mehr 100 Eier pro Legejahr erreicht...Starke Inzucht sorgte zwar für einzelne hochfeine Tiere, aber die Befruchtung sank teilweise auf 25-30%
Nach dramatischem Rückgang der Züchter in den 60er Jahren auf nur noch 6 oder 7 Aktive im SV begannen ab 1974 die o. a. Bemühungen. Die namhaften Züchter haben ... einiges getan, um die Legeleistung wieder erheblich zu steigern. So wurden weiße Plymouth Rocks und weiße Dresdener eingekreuzt. Die F1- und F2-Generation hieraus erzielten Legeleistungen von bis zu 270 Eiern pro Jahr. Die Tiere wurden zwar etwas schlanker, sehen aber gefälliger aus und sind vitaler. Die Eier wurden auch größer; bei zweijährigen Hennen wurden Eigewichte bis zu 70 g erreicht.
Der Bericht schließt mit heute immer noch vergleichbaren Beschwerden über zu strenge Preisrichter, dem Problem des Waschens und eigenbrötlerische Einstellungen streitbarer Züchterkollegen.
Ich ziehe hauptsächlich zwei Schlüsse aus diesem Bericht:
1) Der Begriff des Heterosiseffekts war wohl noch nicht so sehr in Züchterkreisen verbreitet, die Auswirkungen selbst allerdings schon beobachtet und angewendet.
2) Hier im Forum wird ja gerne von Erhaltung der "Genreserve" so alter traditioneller Hühnerrassen geschrieben, über die angeblich großen charakterlichen und sonstigen Rassenunterschiede und damit über deren zwingende Reinzüchtung, was ja das erste Ansinnen eines verantwortungsvollen Züchters sei.
Das Beispiel weiße Wyndotte zeigt mir allerdings, dass innerhalb weniger Jahre gleich drei verschiedene weitere Rassen eingekreuzt worden sind, nämlich jeweils weiße Orpington, Plymouth Rocks und Dresdener (eine damals noch recht junge Rasse, die selbst aus diversen anderen "zusammengeschustert" bzw. gezüchtet worden ist). Und es entzieht sich meiner Kenntnis, was seitdem züchterisch unternommen worden ist.
Ist alles legitim und aus meiner Sicht züchterisch auch nicht anders zu händeln, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Aber die Ansicht, die Hühnerrassen wären in großer Zahl seit vielen Jahrzehnten fortlaufend immer "rein" gezüchtet worden, ist glaube ich eher Wunschdenken denn Realität.
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