Die Königin ist tot, oder: Alte Hennen als Integrationsfigur?

[Tulip]

Ich mußte mich gerade von meiner neun Jahre alten, hochbewährten Chefhenne verabschieden - und kriege jetzt eine eindrucksvolle Lektion darüber, was solche Oldies für eine Truppe wirklich bedeuten.

Ich darf hier keinen Hahn halten, und so war Henriette all die Jahre, die sie hier lebte, die unbestrittene Chefin. Bis zum letzten Tag. Sie hatte aber nicht nur den Vorrang, sie wachte und warnte auch, die Jüngeren verzogen sich oft zu ihr, wenn es unruhig wurde, und es ging in ihrer Gegenwart jederzeit sehr friedlich und gesittet zu. Wobei sie notfalls auch mal nachdrücklich per Schnabelhieb Respekt einforderte, aber nie wirklich aggressiv oder zänkisch war.

Was ihre Gegenwart bewirkt hat, sehe ich aber erst jetzt nach ihrem Tod: In der bisher so harmonischen Gruppe ist echt der Teufel los. Die drei älteren Hennen, die im Rang direkt unter ihr standen und reibungslos miteinander auskamen, kloppen sich plötzlich, dass die Federn fliegen, die Jüngeren werden regelrecht getriezt, kurz: es herrscht das Chaos. Und Eier werden plötzlich auch kaum noch gelegt.

Hätte ich echt nicht gedacht. Es wird natürlich spannend sein, zu beobachten, wer da das Rennen um die Spitze machen wird, und ob es wieder eine Henne schaffen kann, so eine unangefochtene Nummer Eins zu werden wie die alte Chefin. Aber ich gäbe schon was dafür, wenn ich die Oma und mit ihr die bisherige Ruhe und Stabilität in der Truppe zurückhaben könnte!

Und mich würden eure Erfahrungen jetzt sehr interessieren: War meine alte Dame ein Ausnahmevogel - oder ist es die Regel, dass alte Hennen solche "Integrationsfiguren" werden?

[kaeferkarl]

Meine alte Bielefelder Henne war auch der gute Geist der Truppe. Es war ruhig und friedlich. Durch eine Krankheit sind nun innerhalb kurzer Zeit 4 der ältesten Hennen verstorben und nun ist hier auch das Leben in der Truppe um einiges ruppiger geworden.
Gerade die jüngeren Hennen haben nun Oberwasser und einige sind gerade sehr biestig.
Bin schon auf deinen Bericht gespannt, wie es weitergeht.

[Okina75]

Ich hatte einen ähnlichen Fall.
Die Henne war zwar nur "halb neun", also viereinhalb, aber es war eindrücklich, was sich da abspielte. Sie war ebenfalls Chefin, Königsberger, die soviel Souveränität ausstrahlte, dass bei der ersten Begegnung nach dem Hinzusetzen unserer damals zweiten Truppe (aus zwei mach 1) die Chefin jener zweiten Truppe, eine Lohmann Braun (!) nach kurzem Taxieren nur weiter ihres Weges zog und der (jüngeren) Königsbergerin völlig offensivlos die Führung überließ.

Die Königsbergerin hatte den Posten also quasi die ganzen viereinhalb Jahre bei uns inne, und erlebte das Wachsen meiner Truppe vollständig mit.
Eines Tages dann begann sie sich abzusondern. Wirkte nicht krank oder dergleichen, wollte nur abends nicht mehr mit in den Stall, und wollte tagsüber deutlich weg von der Truppe. Dabei war sie nicht entmachtet, es mopperte sie niemand an, keine Henne machte ihr was streitig oder dergleichen. Doch noch während sie lebte (es begann zwei Tage vor ihrem Ende), gab es wie hier im Eingangspost beschrieben mit einem Mal einen Riesenzoff unter immer denselben drei Mädels. Die demzufolge wohl die Rangnummern 3, 4 und 5 waren. Da begann ich schon zu argwöhnen, dass da was im Busche sei. Meine Truppe war bis dato eigentlich auch ausgeglichen ohne nennenswerte Reibereien, und so fiel das natürlich auf.

Interessant nur, dass es gar nicht erst des Ablebens der Chefin bedurfte (die mit viereinhalb schon meine Älteste war seinerzeit), sondern dass die Mädels bereits vorher merkten, dass da was ins Haus steht.
Neue Chefin wurde dann ebenso anstandslos meine damalige Maranshenne, auch viereinhalb, die da sogar noch gerade gluckte, und die vorher Rang- Nummero 2 war. Auch sie war eine sehr souveräne, ausgeglichene Henne, die keinerlei Gewalt bedurfte, um ihren Status zu beweisen oder durchzusetzen.
Als sie dann wiederum mit sechs Jahren starb, verlief dieser Machtwechsel völlig unauffällig. Chefin wurde dann eine 2017 bereits älter von einer Nachbarin übernommene Henne aus dem Tierschutz, eine rosenkämmige Italienerin, die bis heute Chefin ist. Und ebenfalls nun mindestens sechs Jahre alt sein dürfte und langsam wirklich 'nen Rollator braucht. Ich bin gespannt wie es wird, wenn ihre Zeit kommt, auf jeden Fall kann ich aber bestätigen, dass ältere, ranghohe Hennen eine bemerkenswerte Stabilität und auch Ausgeglichenheit in die Truppe bringen.
Auch nach dem Tod der Maranshenne war die Truppe schon etwas "verwirrter" drauf, auch wenn es diesmal ohne Gewalt ablief. Vor allem in den nächst- älteren Jahrgängen war schon etwas mehr Anarchie zu beobachten, was sich zB in öfterem, vorher nicht so aufgetretenen Über den Zaun fliegen oder Wildlegerei ausdrückte. Mit der Etablierung der neuen Chefin ließ das dann wieder nach.

Überhaupt glaube ich, dass größere Eingriffe ins Ranggefüge/ Entnahme/ Ausfall älterer Hennen, die rangmäßig in der vorderen Hälfte der Ränge rangierten, schon größere Verwerfungen in der Truppe bedingen. Ich habe mir das Datum leider nicht vermerkt, aber ich habe früher im Sommer auch zwei Hennen geschlachtet, von denen eine etwas älteren Jahrgangs war, deren Rang ich aber nicht kannte (ist recht schwer einzuschätzen, wenn eine Truppe harmonisch und eingefahren ist- Chefin und die nächsten zwei erkennt man, dann wird es aber oft schwierig). Jetzt in der Retrospektive fällt mir auf, dass so ungefähr um den Zeitraum herum meine beiden Maranshennen und noch ein oder zwei weitere begannen, wild zu legen.
Bislang schob ich es auf die oft durch ständige Neuglucken besetzten Nester, aber der erneute Zusammenhang durch den Verlust der dann doch auch höherrangig (und vierjährig) gewesenen Henne drängt sich jetzt auf.

[Tulip]

Vielen Dank für eure Erfahrungen ,das ist sehr interessant. Vor allem, zu lesen, dass deine alte Henne sich absonderte, Okina, das hat meine nämlich auch angefangen. Die wollte etwa einen Monat vor ihrem Tod partout nicht mehr drinnen schlafen. Ich hab's auf die Hitze geschoben, aber jetzt denke ich, sie wußte Bescheid.

Hier geht's ziemlich chaotisch zu, was auch verdammt komisch ist. Die Fünfjährige und die beiden Dreijährigen, von denen ich immer angenommen habe, dass ihre Interessen nicht über Futternapf und Legenest hinausgehen, motzen sich bei jeder Gelegenheit an wie die Junghähne. Eine der Einjährigen mischt in der Liga mit ,die anderen drei scheuchen die beiden Junghennen, die vor einer Woche dazugekommen sind. Und die wiederum sitzen interessanterweise ständig bei der verbliebenen Uralten, einer achtjährigen Henne, der das ganze Theater herzlich wurscht ist. Die stöckelt sehr verloren über den Hof und scheint ihr lebenslange Freundin zu suchen, mit der sie die Rente sonnenbadend verbracht
hat. Ich denke mal, die wird sie nicht lange überleben.

Das ist überhaupt das Interessante: Ich habe die letzten zwei Jahre nie gesehen, dass die Alte sich irgendwo aktiv eingemischt hätte. Es lief einfach so alles rund, während sie entspannt in der Sonne saß - und jetzt, wo sie weg ist, geht plötzlich alles drunter und drüber. Sie muß das also irgendwie über ihre bloße Präsenz geregelt haben. Ist schon faszinierend.

[elja]

Ich habe zum Glück noch zwei Hennen aus 2014 und mehrere aus 2015. Und es ist Ruhe in der Gruppe. Meine Brüggerin kommt bald zu den jungen Damen bei denen auch noch 10 9wöchige mitlaufen. Bei den Kleinen sind leider 8 Hähnchen dabei. Die brauchen langsam einen Dämpfer.

[Tulip]

Eine aus 2015 und zwei aus 2017 sind jetzt meine Ältesten, und die kämpfen gerade gewaltig. Aber ich hoffe eben auch, dass es so laufen wird wie bei dir: Dass sie, sobald Ruhe eingekehrt ist, souverän genug sind, die 2019/2020er Bande wieder in Schach zu halten. Die einjährigen Rüpelinnen laufen echt gerade aus dem Ruder. Dass das bei euch klappt, gibt mir da echt Hoffnung - danke für deine Erfahrung!