Was weiß ein Huhn vom Abschied?

[Tulip]

Mir ist heute mein gestreiftes Lieblingshuhn gestorben, immerhin fast sechs Jahre alt. Heute morgen war klar, dass es zu Ende ging. Und im Legenest fand ich das hier:





Die sterbende Henne hat sich, statt mit den anderen rauszugehen, zu einer gluckenden Kollegin ins Legenest verkrochen. Und die Glucke, sonst ein absolutes Aas, sobald sich ein anders Huhn dem Nest auch nur nähert, hat sie nicht nur ruhig gewähren lassen ,sondern zeitweise auch noch gehudert. Stundenlang. Sie hat sogar ihre regelmäßige mittägliche Fütter- und Staubbadepause ausgelassen. Erst, als die gestreifte Henne dann tot war, stand die Glucke auf und ging fressen.

Was war das? Die beiden Hennen haben zwar fünf Jahre friedlich zusammengelebt, waren aber nie speziell befreundet - und die Glucke hat eben schon wieder einen wütenden Riesenaufriß veranstaltet, als eine Kollegin dem Nest zu nahe kam.

Was mag da vorhin in ihr vorgegangen sein? Mit Eiern oder Küken kann sie die gleichgroße Kollegin kaum verwechselt haben. Wußte sie irgendwie, dass das eine besondere Situation, vielleicht sogar, dass es ein Abschied war? Was mag das sein im Sozialgefüge der Hühner, das sie zu diesem für sie völlig ungewöhnlichen Verhalten bewogen hat?

Es würde mich schon sehr interessieren, wie ihr das bewerten würdet, und wer vielleicht sogar Ähnliches erlebt hat?

[Luci]

Was mag da vorhin in ihr vorgegangen sein? Mit Eiern oder Küken kann sie die gleichgroße Kollegin kaum verwechselt haben.

Mit Sicherheit nicht! (Sie ist ja nicht doof). Sie hat eben mit einer alten Gefährten mitgefühlt.
Jahrelang hat man Vöglen Intelligenz und auch Emotionen abgesprochen- was wäre sonst mit der Vormachtstellung der Mensche/Säuger?- , mittlerweile weht in der Verhaltensbiologie ein anderer Wind.

Wußte sie irgendwie, dass das eine besondere Situation, vielleicht sogar, dass es ein Abschied war? Was mag das sein im Sozialgefüge der Hühner, das sie zu diesem für sie völlig ungewöhnlichen Verhalten bewogen hat?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Hühner soviel Empathie und Sozialverhalten besitzen, dass sie mit einer solch eine Situation rihctig bewerten können. Ich habe oft schon ähnliche Erfahrungen gemacht, z.B. , dass meine Tiere getrauert haben.

[Lisa R.]

Als meine alte Sundheimerin im Frühjahr schwächer wurde und den Stall nicht mehr gerne verlassen hat, ist meine Frau Blau auch im Stall geblieben.

Ich dachte, naja die sind ja beide gleich alt (fast 6) und das Wetter ist nicht toll. Sie wird auch keine Lust haben rauszugehen. Die beiden haben nie größeres Interesse aneinander gehabt. Frau Blau ist hier geschlüpft und ist eine der beiden Fuchsüberlebenden. Frau Sundheimer habe ich im Anschluss als Küken gekauft. Sie haben sich nie gezofft, waren sich aber auch nicht nah.

Als Frau Sundheimer immer öfter rum saß und man ihr anmerkte, dass sie wohl bald den letzten Weg antreten wird, setzte sich Frau Blau immer ganz nah zu ihr und blieb über Stunden dort sitzen. Ich habe schon befürchtet, dass sie sich auch dem Ende nähert.

Dann war Frau Sundheimer gestorben und ab diesem Zeitpunkt verließ Frau Blau wieder jeden Tag mit den anderen den Stall, sitzt seit dem wieder auf ihren Lieblingsplätzen im Auslauf und führt ihr normales Hühnerleben weiter wie vorher. Von Alter oder Krankheit keine Spur.

Ja, Hühner wissen etwas über Abschied und den nahenden Tod. Sie sind sehr wohl zu Mitgefühl und Mitleid fähig, wenn sie die Möglichkeit dazu haben und sich selbst nicht in Gefahr damit bringen.

[Tulip]

Ich glaube, ihr habt Recht. Ich hab die Glucke eben dabei gesehen, wie sie ihre eigentlich beste Freundin, die nur an ihrem Nestrand entlangbalancieren wollte, dermaßen angegiftet hat, dass die Ärmste vor Schreck ihr Ei auf dem Boden verloren hat.

Anders als mit einem sehr bewußten Verhalten, und ja, mit Empathie, ist ihr Verhalten von heute morgen wohl nicht zu erklären. Hühner sind schon erstaunliche Geschöpfe, wenn man sie läßt.

[Blindenhuhn]

Zuerst mal tut es mir sehr leid, dass dein Hühnchen gestorben ist.
Deine Beobachtung bestärkt mich wieder in meiner Ansicht, dass Hühner durchaus "menschliche" Regungen haben können. Etwas Gleichartiges habe ich noch nicht bemerkt, aber bei zweien meiner Hühnchen, die sich anfangs so angegiftet haben, habe ich eine tiefe Freundschaft sehen können. Die beiden haben alles gemeinsam gemacht und saßen abends immer eng zusammengekuschelt auf der Stange. Als dann die eine gestorben ist (vermutlich Altersschwäche), ging die andere 3 Tage lang nicht aus dem Stall. Ich versuchte sie mit allem Möglichen zu locken und hatte schon die Befürchtung, sie sei krank. Aber wahrscheinlich hat sie einfach nur getrauert.

[Tulip]

Das mit dem Trauern hab ich auch so erlebt, genau bei dieser Gestreiften. Die war nach dem Tod ihrer Schwester und besten Freundin so durch, dass ich erst dachte, sie überlebt das nicht. Sie hat zuerst nicht mal gefressen, und sich erst wieder eingekriegt, als eine der anderen nach ein paar Tagen regelrecht anfing sie zu bemuttern, auch inklusive Körperkontakt abends vor dem Einschlafen. Da mußte ich auch erstmal ein Foto machen, um mir das später das zu glauben - die beiden waren nie groß befreundet gewesen.




Wenn Hühner so lange miteinander leben, scheint das Sozialleben doch sehr viel komplexer zu sein, als man beim bloßen Draufsehen vermuten würde.

[Dorintia]

Ein sehr kränkliches Huhn hat bei uns auch schon die Nähe einer anderen Henne gesucht. Und eine, die eben nicht ihrer Wege geht, ist halt die Glucke. Bei uns saß das Huhn dann dicht gedrängt an die Gluckenkiste, in die auch nur die Glucke gepasst hat. Die Glucke ließ sie gewähren.

[Okina75]

Auch wenn ich selber so was noch nie erlebt habe: Das ist auch einer der Gründe, warum ich, außer chronisch unvitale und völlige Hysterikerinnen, eigentlich inzwischen alle Hennen leben lasse, solange sie wollen- diese Feinheiten im Gruppengefüge mit einer natürlichen Altersstruktur.

[Saskia999910]

Tut mir auch leid wegen dem Hühnchen..

Deine Schilderung zeigt mal wieder, wie sehr unsere gefiederten Freunde doch unterschätzt werden.
Danke fürs Teilen!

[Tulip]

Ja, ich seh das genauso: schon dafür, dass man ab und zu mal diese verblüffenden Einblicke ins Sozialgefüge einer Gruppe bekommt, die so lange zusammenlebt, sind die alten Damen ihre Rente allemal wert.

Aber ich finde es dann immer auch ein bißchen unheimlich, wie sehr wir Hühner offenbar unterschätzen.