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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Vogelzug bringt Sorge vor H5N1 mit



PaterZwieback
24.10.2006, 22:04
VON STEPHAN BÖRNECKE

Die Wildgänse kommen!

Kommt mit dem herbstlichen Zug der Enten, Gänse und Schwäne die Vogelgrippe zurück? Nach der Aufregung im Frühjahr halten sich die Experten mit voreiligen Warnungen derzeit zurück, mahnen aber zu erhöhter "Wachsamkeit".

Weltweit breitet sich das tödliche H5N1-Virus derweil weiter aus, hat seinen Vormarsch nach Erkenntnissen der Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO jedoch erheblich verlangsamt: Das Netz aus Kontrollen, Sicherheitsvorkehrungen und reduziertem wie überwachtem Handel mit Geflügel und Vögeln scheint zu greifen. Dennoch: Waren im April noch 45 Länder der Erde von dem hochpathogenen Erreger betroffen, so sind es heute 55 in Asien, Afrika und Europa. Bis Anfang Oktober starben 148 von 252 infizierten Menschen an der Vogelgrippe, die meisten Todesfälle meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO aus Vietnam (42 Tote) und Indonesien (52).

Zwölf Tote gab es auch in Europa, und zwar in der Türkei. In Afrika sind sechs Todesfälle aus Ägypten bekannt geworden, bei denen die Vogelgrippe als Verursacher gilt. Aus Indonesien berichtet die WHO den vorerst letzten Todesfall: Dort starb Mitte September ein elfjähriges Mädchen an den Folgen eines direkten Kontakts mit infiziertem Geflügel.

220 Millionen tote Vögel

Wenn auch die Gefahr einer Pandemie noch nicht gebannt ist, bei der Menschen in großer Zahl mit dem Virus infiziert würden: Die Vogelgrippe gilt weiter zunächst als gefährliche Tierseuche, denn die Gefahr, sich als Mensch anzustecken, ist äußerst gering. Nur im engen Kontakt zu erkranktem Geflügel ist eine Ansteckung möglich, eine Übertragung von Mensch zu Mensch gar überhaupt nicht bekannt.

Opfer der Seuche aber sind massenhaft Wildvögel und natürlich Geflügel: Inzwischen starben 220 Millionen Vögel, etliche in der freien Natur, Massen aber auch bei Keulungen. Geschlachtet, um ein Ausbreiten des hochpathogenen Erregers zu verhindern.

Das Virus hat hier übersommert

Deutschland im Februar: Vier tote Höckerschwäne, gefunden am kalten Ufer an der Wittower-Fähre nahe Trent auf der Insel Rügen, lösen eine fast panische Angst aus. An dieser Stelle auf der Ostseeinsel, die selten zufriert, sammeln sich in der kalten Jahreszeit zehntausende Wasservögel, viele aus Russland oder Polen. Sie überwintern dort. Doch woher sollte der Erreger ausgerechnet zu dieser Jahreszeit, in der es praktisch keinen Vogelzug gibt, gekommen sein?

Jetzt im Herbst, mitten im Vogelzug von Saatgänsen, Spieß- und Schnatterenten, Singschwänen und Silberreihern, ist klar: H5N1 ist in Deutschland nicht nur angekommen, sondern, und das zeigt ein Fall aus dem Sommer, bei dem ein erst drei Monate alter Trauerschwan mitten im Dresdner Zoo an Geflügelpest starb, auch nicht wieder verschwunden. Wenn es auch bisher nur Einzelfälle gibt: Das Friedrich-Loefler-Institut für Tiergesundheit schätzt das Risiko einer Einschleppung der "aviären Influenza" deshalb weiterhin als hoch ein.

Allerdings schränkt Institutsleiter Thomas Mettenleiter ein: "Ob die Zugvögel zusätzlich das Virus mit nach Deutschland bringen, ist noch unklar." Doch weil in diesen Monaten örtlich die Vogeldichte vor allem auf Wasserflächen enorm hoch sein kann und Wasservögel als das Reservoir der Erreger gelten, hatte das Loeffler-Institut die Länder angewiesen, die Abgrenzung ihrer Risikogebiete zu überprüfen: So wurden manchenorts jene Gebiete, in denen weiter die absolute Stallpflicht für Geflügel gilt, noch ein wenig ausgedehnt. Wenigstens vorerst aber ist die Freilandhaltung in den meisten Teilen des Landes als Ausnahmeregelung möglich - eine Meldung an die zuständigen Behörden vorausgesetzt.

In Deutschland wurde bisher an 337 Wildvögeln H5N1 nachgewiesen, aber nur in einem Nutztierbestand in Sachsen brach die Geflügelpest tatsächlich auch aus: 16 000 Puten, Gänse und Hühner wurden im April gekeult.

Bei der FAO werden derweil der südliche Balkan und der Kaukasus als besonders risikoreiche Regionen Europas benannt. Dort befinden sich nicht nur große Rastgebiete ziehender Vögel, sondern dort herrscht auch eine besonders kleinbäuerliche Landwirtschaft, in der Kontrollen und Biosicherheit weitgehend unbekannt sind. Auch für das künftige EU-Land Rumänien, wo es im Mai einen Ausbruch der Seuche in einem Geflügelhof gegeben hatte, gibt die FAO wegen der dortigen Bedingungen keine Entwarnung.

Singschwäne unter Beobachtung

Gleichwohl gilt für die FAO, dass Geflügel- und Vogelhandel die Hauptverbreitungsquelle für die Vogelgrippe darstellen, sagt FAO-Geflügelpest-Experte Scott Newman. In einigen Gebieten, davon geht der "Wildlife-Coordinator" aus, allerdings seien in den Übertragungsprozess der Seuche Zugvögel involviert. Welche Rolle die Wildvögel genau spielen, ist den Experten der FAO noch nicht ganz klar. Sie haben deshalb im Spätsommer ein Beobachtungsprogramm gestartet: Singschwäne, von denen 2005 etliche in der Mongolei an Geflügelpest starben, wurden während der Mauserzeit, in der sie flugunfähig sind, mit einem 70 Gramm schweren GPS-Sender ausgestattet. Die Ornithologen verfolgen nun ihren Flug quer durch Eurasien und erhoffen sich neue Erkenntnisse etwa über Interaktionen zwischen Wildvögeln und Hausgeflügel.

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Link (http://www.fr-aktuell.de/in_und_ausland/hintergrund/?em_cnt=987443)