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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eine tierische Weinachtsgeschichte



güggel
17.12.2010, 23:01
wirklich clever, dieser Weihnachtsmann

Ich wusste natürlich von Anfang an, dass das ganze Haus über mich herziehen würde, wenn Susanne auf meine Anordnung hin den Hund fortschaffen müsste.
„Das nette junge Mädchen“, würde es heißen, und „der süße, arme Hund!“ Und außerdem war Adventszeit, da sind die Leute im Vergleich zum übrigen Jahr dreimal so sentimental. Dabei hätten sie sich mit ein bisschen kühlem Verstand sagen müssen, dass ich recht hatte: Machen denn Hunde noch etwas anderes als Lärm? Und Schmutz? Und das ist den Wochen vor Weihnachten weiß Gott nicht anders als sonst. Im Gegenteil, ich sah schon die Schneespuren im Treppenhaus. In meinemTreppenhaus! Denn ich bin der Besitzer- und damit verantwortlich dafür, dass hier alles seinen geordneten Gang geht.
Susanne, dass Mädchen aus dem dritten Stock, hatte die kleine braune Hündin aus Spanien mitgebracht.
Maroussia hatte am Rand einer staubigen Landstrasse gelegen, mit zwei gebrochenen Beinen und zum Skelett abgemagert. Natürlich, so eine Geschichte geht einem schon nahe, und ich finde es auch in Ordnung, dass Susanne dieses arme Bündel Haut und Knochen aufgesammelt und mitgebracht hat. Aber warum soll es jetzt in meinem Haus leben? Wozu gibt es Tierheime?
„Heute ist der dritte Advent“, sagte ich zu Susanne, „bis zum vierten haben sie Zeit, diesem Hund ein neues Zuhause zu suchen. Es tut mir leid, aber hier ist Tierhaltung nun einmal verboten. Ich kann da keine Ausnahme machen:“
Susanne sagte nichts, aber sie sah mich lange und eindringlich an. Es war wie verhext; sie und er spanische Hund hatten dieselben tiefdunklen, maurischen Augen.
„Also“, murmelte ich, „eine Woche. Das müsste reichen.“
Sämtliche Familien im Haus nahmen lebhaften Anteil an Susannes Versuchen, für Maroussia einen neuen Platz zu finden. Und ich selbst musste mir immer wieder die neusten Geschichten anhören; meine Kinder erzählten sie mir, und jeder Mieter, den ich im Aufzug oder im Gang traf, berichtete mir sofort aufgeregt von Susannes und Maroussias Abenteuern.
Also- das mit dem Tierheim war schief gegangen.
Susanne hatte den Hund abgeliefert, war auch noch irgendwie zu ihrem Auto zurückgelangt, hatte es aber dort- offenbar inzwischen blind vor Tränen- nicht mehr über sich gebracht, alleine nach Hause zu fahren. Und so kehrte sie schnurstracks um, holte Maroussia aus dem Käfig und kreuzte hier wieder mir ihr auf. Da die Frist noch nicht abgelaufen war, sagte ich nichts. Fairneß muß sein.
Der nächste Anlauf war eine Annonce in der Zeitung.
„Kleine braune Hündin sucht neues Zuhause….“
Meine jüngste Tochter, die gerade erst Lesen gelernt hatte, las mir den Text beim Frühstück stockend und fehlerhaft, aber erbarmungslos von Anfang bis Ende vor. Alle drei Kinder sahen mich an, als hätten sie einen Schwerkriminellen vor sich.
„Jetzt werden sie bald liebe, nette Menschen für die liebe, nette Maroussia finden“, sage ich munter. Keines der Kinder antwortete. Meine Tochter stand auf und verließ schweigend das Zimmer. Im Radio spielten sie „Oh du fröhliche….“
Wie man sich so im Haus erzählte, hatte die Annonce einen durchschlagende Wirkung, allerdings nur insofern, als Abend für Abend wildfremde Menschen zu Susanne in die Wohnung stolperten, einen kurzen Blick auf den Hund warfen und im übrigen dies alles als eine Art Einladung ansahen, den Abend in angeregter Unterhaltung mit einer hübschen jungen Frau zu verbringen. Ganze Familien erschienen, Ehepaare, einsame Männer- aber keiner, soweit ich das durch meinen Türspion erkennen konnte, verließ das Haus mit einem Hund an der Leine.
„Es wird einfach keiner gut genug sein“, meinte ich zu meiner Frau, „wahrscheinlich sucht sie einen Fürstenschloß für dies Maroussia.“
„Ach was, es ist so, dass niemand diesen armen spanischen Hund will“, entgegnete meine Frau und war mir einen anklagenden Blick zu. Ich fühlte mich langsam verfolgt. Gab es den niemanden, der Verständnis für meine Gründe hatte?

In unserem Haus lebte ein alter Mann, und der nahm besonderen Anteil am Schicksal von Susanne und Maroussia. Jeden Tag kaufte er eine Dose Hundefutter, die er vor Susannes Wohnungstür stellte. Alle im Haus liebten diesen alten Mann, besonders die Kinder, denn einmal im Jahr, am vierten Advent, verkleidete er sich als Weihnachtsmann und zog in einem roten Mantel und mit einer roten Mütze auf dem Kopf von Wohnung zu Wohnung und verteilte kleine Geschenke an die Kinder. Eine nette Idee, das mußte ich ja zugeben, aber ich glaube, ich war immer ein bisschen eifersüchtig, wenn meine Kinder voller Begeisterung von ihm sprachen. Oder mit Problemen zu ihm statt zu mir gingen.
So wie mit der Katze.
Die Katze taucht zwei Tage vor dem vierten Advent in unserm Vorgarten auf, genauer gesagt, direkt unter unserm Wohnzimmerfenster. Ein mageres Tier mit struppigem Fell und entzündeten Augen. Offenbar hatte sie keinen Besitzer, aber warum, um alles in der Welt, musste sie gerade zu uns kommen? Sie saß den ganzen Tag auf dem Fensterbrett, eng an die Glasscheibe gepresst, und maunzte. Maunzte zum Gotterbarmen. Ihr spitzes Gesicht hob sich als helles Dreieck von der frühen winterlichen Dämmerung ab. Überflüssig zu sagen, dass meine Kinder auf der anderen Seite des Fensters klebten und fast genauso anhaltend und herzzerreißend jammerten die Katze.
„Kommt, wir zünden die Kerzen am Adventskranz an“, versuchte ich sie abzulenken. Das war für gewöhnlich die Sensation. Nicht so heute.
„Wir haben schon den Weihnachtsmann um Hilfe gefragt“, sagte meine Tochter. Ich seufzte. „Das ist kein Weihnachtsmann. Das ist ein ganz normaler Mann! Nur weil er einmal im Jahr….“
„Er sagt, er kann die Katze nicht zu sich nehmen“, fuhr meine Tochter ungerührt fort, „weil du das hier im Haus verboten hast. Warum hast du es verboten?“
Ich fragte mich, womit ich es verdient hatte, in so eine unangenehme Grundsatzdiskussion verwickelt zu werden. Statt einer Antwort zog ich rasch die Vorhänge zu, um das Katzengesicht draußen nicht mehr sehen zu müssen.
„Wir singen jetzt Weihnachtslieder!“ bestimmte ich. Der Gesang fiel mager aus. Immer wieder brach eines der Kinder ab, lauschte nach draußen und fragte die anderen: „Schreit sie noch?“ Und dann lauschten sie alle, tatsächlich, zart wie das Läuten einer kleinen silbernen Glocke klang die Stimmer der Katze von draußen herein.

In der Nacht hatte es geschneit. Im Laufe des Tages wurde es immer kälter, als leuchtenroter Ball hing die Sonne am fahlen Winterhimmel.
Ich trag Susanne und Maroussia an der Haustür. Der Hund wedelte vergnügt mit dem Schwanz, Susanne aber sah blaß und übernächtigt aus. Sie grüßte mich mit leiser Stimme.
„Na, jetzt sagen Sie nur, es hat sich immer noch niemand für diesen hübschen Hund gefunden?“
„Niemand“, entgegnete Susanne. Ich schüttelte den Kopf. „Aber es kommen doch ständig Interessenten?“
„Ja, aber die meisten suchen einen reinrassigen Hund. Oder sie suchen gar keinen, sondern wollen nur einmal in eine andere Wohnung hineinschauen, jemand kennen lernen. Einer wollte sich sogar Geld pumpen. Ja, und….“, sie schaute mich nicht an, sondern blickte an mir vorbei zum Horizont, wo die Sonne hinter den Bäumen unterging, „morgen ist der vierte Advent….“

Die Katze miaute den ganzen Abend vor unserem Fenster. Allmählich gewann ich den Eindruck, dass sich sämtliche leidende Kreaturen dieser Erde ausgerechnet in meinem Haus versammelten. „Warum geht sie nicht woandershin?“ fragte ich gereizt. Wir saßen alle vor dem Kamin, blickten in die Flammen und lauschten auf das Knistern der Holzscheite. Das heißt, wir hätten gern gelauscht. Meist war die Stimme der Katze lauter.
Niemand antwortete auf meine Frage.
„Morgen kommt der Weihnachtsmann“, wechselte ich das Thema.
Es antwortete immer noch niemand. Aha, jetzt wurde ich also geschnitten. Noch ein paar Tage, und meine Widerstände würden erlahmen. Ich beschloss, früh schlafen zu gehen. Eine tolle Adventszeit dieses Jahr, wirklich!
Der Weihnachtsmann kam tatsächlich am nächsten Tag. Er hatte sich einen langen Bart angeklebt, und seine himmelblauen Augen blitzten. Für die Kinder kramte er Schokoladennikoläuse hervor, Strohsterne und Glaskugeln, in denen es schneite, wenn man sie schüttelte. Dann sah er sie alle der Reihe nach an.
„Was wünscht ihr euch den vom Christkind?“ fragte er die Kinder.
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, und noch dazu im Chor:“ Wir wollen das unser Vater die Katze hereinlässt!“
Der alte Mann schaute mich an:“ Es ist bald Weihnachten“, sagte er leise.
Das war der Moment, da ich kapitulierte. Sentimentaler Narr, der ich bin, aber irgendwie ging es mir ans Herz – die bettelnden Augen der Kinder, der alte Mann in seinem roten Mantel, aber vor allem die Stimme mit der es sagte:“ Es ist bald Weihnachten.“
„In Gottes Namen, holt die Katze herein“, sagte ich erschöpft. Der alte Mann lächelte mir zu und wandte sich zum Gehen, ich kämpfte mit mir, aber dann hielt ich ihn zurück.
„Was recht ist“, knurrte ich, „ muß Recht bleiben. Wenn ich hier die Katze habe, kann ich Susanne nicht gut ihren Hund verbieten, nicht wahr? Sagen Sie ihr – mein Weihnachtsgeschenk -, sie kann den Hund behalten. Wenn es sein muß!“
Es tat gut, wirklich, ich muß zugeben, es tat gut, in die warmen, freundlichen Augen des Weihnachtsmannes zu blicken.

Natürlich bin ich kein Dummkopf. Ich weiß längst, was hier gelaufen ist. Ich habe das leere Baldrianfläschchen im Müll gefunden. Und ich habe Baldrian gerochen – auf meinem Fensterbrett. Wirklich clever, dieser Weihnachtsmann. Um Maroussia zu retten, setzte er mich mit einem anderen Tier unter Druck. Eine heimatlose Katze zu finden ist leicht. Und ich fragte noch:“ Wieso kommt sie immer wieder zu uns?“ Jeder weiß mit Baldrian kann man Katzen verrückt machen. Es zieht sie magisch an. Und bringt sie zum Schreien.
Ja, so war das. Aber komischerweise war ich gar nicht ärgerlich an diesem Abend. Alle vier Kerzen auf dem Adventskranz brannten. Wir sangen Weihnachtslieder, und auf dem Sofa lag die Katze und putzte ihr weißes struppiges Fell.

Borny
17.12.2010, 23:24
Tolle Geschichte , und manchmal muss man eben jemanden zum Glück zwingen , nicht war !! ;) 8)


LG Borny :biggrin:

güggel
17.12.2010, 23:37
so isses !! :biggrin:

dobra49
18.12.2010, 14:46
Danke für die Geschichte !
Die hätte auch gut in den Adventkalender gepasst.

Illy
18.12.2010, 17:38
Schöne Geschichte.........Danke !!

Paultschi
19.12.2010, 19:30
Wunderbare Geschichte :biggrin: ;)

Waldfrau2
19.12.2010, 19:40
Oh ja, sooo schön. :jaaaa: Danke :flowers