Rumpelstilzchen
28.06.2007, 17:11
http://www.n-tv.de/820753.html
Donnerstag, 28. Juni 2007
n-tv.de Interview zur Vogelgrippe
"Die Wege der Geflügelindustrie"
Die Vogelgrippe ist wieder da. Nach langer Pause wurden wieder tote Tiere gefunden, die mit H5N1 infiziert waren. Die Zahl der gefundenen Fälle steigt damit auf 355 seit Anfang 2006 (Stand 28. Juni). Anders als im vergangenen Jahr ist in diesen Tagen von Panik nichts zu spüren - noch nicht. Und anders als im vergangenen Jahr stehen nicht mehr die Zugvögel am Pranger. Zu Recht, meint der Vogelschutzexperte Markus Nipkow. Sehr viel sinnvoller sei es, die Ursachen endlich in den Methoden der Geflügelindustrie zu suchen.
n-tv.de: In Nürnberg sind acht Fälle von H5N1 bei Wildvögeln entdeckt worden, im sächsischen Frohburg wurde das Virus bei drei Höckerschwänen festgestellt. Agrarminister Seehofer betont nun wieder die Gefährlichkeit der Seuche. Ist die Vogelgrippe wirklich so gefährlich?
Markus Nipkow: An der Gefahrenlage hat sich durch die neuen Fälle noch nichts geändert. Das sagt auch das Friedrich-Loeffler-Institut. Es bleibe bei einem nur mäßigen Übertragungsrisiko von Wildvögeln auf Nutzgeflügel. Wir hier beim NABU rechnen auch nicht mit einer größeren Ausbreitung unter Wildvögeln. Überraschend war allerdings, dass die Fälle in Sachsen so kurz nach dem Auftreten in Nürnberg festgestellt wurden. Einen Zusammenhang dürfte es aber kaum geben.
(Dr. Markus Nipkow. Der Biologe ist Vogelschutzreferent beim Naturschutzbund (NABU).)
Weil es im Moment keinen Vogelzug gibt?
Ja. Im vergangenen Jahr hieß es immer, die Vogelgrippe werde durch den Vogelzug verbreitet. Wir waren da immer schon skeptisch. Tatsächlich hat die Entwicklung der letzten eineinhalb Jahre ziemlich deutlich gezeigt, dass Wildvögel nur sehr wenig zur Ausbreitung der Viren beitragen können. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 344 tote Wildvögel gefunden, die mit H5N1 infiziert waren. Das ist schon nahe an der Nachweisgrenze, denn in Deutschland gibt es immerhin 180 Millionen Wildvögel. Auch weltweit gab es nie ein Massensterben unter Wildvögeln.
Laut Bundeslandwirtschaftsministerium gibt es "zu 99 Prozent" eine Übereinstimmung zwischen dem Virus aus Nürnberg und dem Erreger, der jüngst bei einem Truthahnbetrieb in Tschechien festgestellt wurde. Es gebe auch Handelsbeziehungen zwischen Betrieben in beiden Gegenden.
Man müsste auch einmal schauen, ob es eine Übereinstimmung gibt zwischen diesen neuen Fällen in Sachsen und dem einzigen Fall, den es bisher in Deutschland bei Nutztieren gab. Das war im April 2006 auf einer Geflügelfarm in Mutzschen, im nordwestlichen Sachsen. Komischerweise scheint in dieser Richtung niemand nachzuforschen.
Von Mutzschen nach Frohburg sind es nur gut 40 Kilometer.
Es könnte durchaus sein, dass Viren damals nach außen getragen wurden, sich latent halten konnten und jetzt bei den Vögeln zum Ausbruch gekommen sind. Das ist natürlich auch nur eine Hypothese. Aber wir wissen, dass Wasservögel zumindest für niedrigpathogene Grippeviren ein Reservoir bilden können.
Hat die Vogelzug-Hypothese den Blick auf andere Ursachen verstellt?
Das kann man wohl sagen. Die Vogelzug-Hypothese ist ja geradezu gebetsmühlenartig vorgebracht worden - selbst als der Erreger im August 2006 bei einem Trauerschwan im Dresdener Zoo festgestellt wurde. Auch da erklärte das Loeffler-Institut, der Fall sei ein Zeichen dafür, dass in der Wildvogelpopulation noch Viren vorhanden seien. Dabei gab es damals in ganz Sachsen keinen Nachweis bei einem Wildvogel. Wie der Trauerschwan an diese Viren kommen konnte, ist nach wie vor rätselhaft. Aber immer zunächst auf die Wildvögel zu zeigen, war lange Zeit bequem.
Wie bewerten Sie die Rolle des Friedrich-Loeffler-Instituts?
Ich habe mich schon im letzten Jahr nicht an Verschwörungstheorien beteiligt. Aber ich habe seinerzeit doch mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, wie nachhaltig das Loeffler-Institut die Zugvogel-These verfolgt hat. Inzwischen ist man auch beim FLI etwas vorsichtiger. Den reflexhaften Verweis auf Zugvögel gab es aber nicht nur in Deutschland. Als vor ein paar Monaten auf einer Geflügelfarm in England Fälle auftauchten, hieß es auch sofort, da hat bestimmt ein Zugvogel durch den Schornstein gekackt. Das ist absurd. Kurz danach jedochwurden Handelsverbindungen zu einer Geflügelfarm in Ungarn aufgedeckt, wo es kurze Zeit vorher einen Ausbruch gegeben hatte.
Es liegt also am Handel?
Es ist völlig unbestritten, dass die Praktiken der Massentierhaltung eine große Gefahr darstellen. Die Wege der Geflügelindustrie sind unüberschaubar. Was global an Hühner- und Geflügeltransporten stattfindet, ist unglaublich. Das am meisten transportierte Tier ist das Mastküken in den ersten Tagen seines Lebens. Dagegen hat sich gezeigt, dass die Vogelzugrouten überhaupt nicht mit den Ausbreitungswegen von H5N1 übereinstimmen. Zudem hat man weltweit noch keinen lebenden Wildvogel mit H5N1 gefunden, obwohl allein in Deutschland tausende lebende Vögel untersucht wurden. Offenbar gehen infizierte Vögel sehr schnell ein und können das Virus nicht in nennenswertem Umfang verbreiten.
Aber wenn der Vogelzug keinen relevanten Anteil an der Verbreitung der Vogelgrippe hat, ist die ganze Aufstallerei doch sinnlos.
Richtig.
Dann könnte man, wenn man böswillig ist, unterstellen, dass das Aufstallen vor allem der Geflügelindustrie nutzt. Die Zugvogel-These lenkt ja nicht nur von ihrer möglichen Verantwortung ab. In Zeiten von Vogelgrippe-Panik haben Legebatterien auch einen besseren Ruf. Immerhin hat Minister Seehofer verhindert, dass am 1. Januar 2007 das Aus für die Legebatterien kam.
Es gibt sicher Leute, die von der Aufstallung profitiert haben. Es ist ein bisschen schwierig, hier die Linie zu ziehen. Denn natürlich möchte man keine Risiken eingehen. Als im letzten Jahr infizierte Wildvögel gefunden wurden, war die Forderung nach Aufstallung nachvollziehbar.
Welche Maßnahmen helfen, wenn die Ursachen in der Massentierhaltung liegen?
Wenn in einem Betrieb die Seuche ausgebrochen ist, gibt es eine Handels- und Transportsperre. Das ist ein eher hilfloses Reagieren, da werden nur die Symptome behandelt, nicht die Ursachen.
Die Geflügellobby dürfte auch etwas einflussreicher sein als die Wildvogellobby.
Eigentlich müssten wir anfangen, ganz grundsätzlich über die Massentierhaltung nachzudenken. Wenn viele tausend Vögel auf engstem Raum gehalten werden, ist die Ausbreitung von Krankheiten nun einmal viel eher möglich. Ohne eine Abkehr von der Massentierhaltung wird man die Ursachen der Vogelgrippe nicht beheben können. Nur wird es dazu wohl nicht kommen.
(Die Fragen stellte Hubertus Volmer.)
Donnerstag, 28. Juni 2007
n-tv.de Interview zur Vogelgrippe
"Die Wege der Geflügelindustrie"
Die Vogelgrippe ist wieder da. Nach langer Pause wurden wieder tote Tiere gefunden, die mit H5N1 infiziert waren. Die Zahl der gefundenen Fälle steigt damit auf 355 seit Anfang 2006 (Stand 28. Juni). Anders als im vergangenen Jahr ist in diesen Tagen von Panik nichts zu spüren - noch nicht. Und anders als im vergangenen Jahr stehen nicht mehr die Zugvögel am Pranger. Zu Recht, meint der Vogelschutzexperte Markus Nipkow. Sehr viel sinnvoller sei es, die Ursachen endlich in den Methoden der Geflügelindustrie zu suchen.
n-tv.de: In Nürnberg sind acht Fälle von H5N1 bei Wildvögeln entdeckt worden, im sächsischen Frohburg wurde das Virus bei drei Höckerschwänen festgestellt. Agrarminister Seehofer betont nun wieder die Gefährlichkeit der Seuche. Ist die Vogelgrippe wirklich so gefährlich?
Markus Nipkow: An der Gefahrenlage hat sich durch die neuen Fälle noch nichts geändert. Das sagt auch das Friedrich-Loeffler-Institut. Es bleibe bei einem nur mäßigen Übertragungsrisiko von Wildvögeln auf Nutzgeflügel. Wir hier beim NABU rechnen auch nicht mit einer größeren Ausbreitung unter Wildvögeln. Überraschend war allerdings, dass die Fälle in Sachsen so kurz nach dem Auftreten in Nürnberg festgestellt wurden. Einen Zusammenhang dürfte es aber kaum geben.
(Dr. Markus Nipkow. Der Biologe ist Vogelschutzreferent beim Naturschutzbund (NABU).)
Weil es im Moment keinen Vogelzug gibt?
Ja. Im vergangenen Jahr hieß es immer, die Vogelgrippe werde durch den Vogelzug verbreitet. Wir waren da immer schon skeptisch. Tatsächlich hat die Entwicklung der letzten eineinhalb Jahre ziemlich deutlich gezeigt, dass Wildvögel nur sehr wenig zur Ausbreitung der Viren beitragen können. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 344 tote Wildvögel gefunden, die mit H5N1 infiziert waren. Das ist schon nahe an der Nachweisgrenze, denn in Deutschland gibt es immerhin 180 Millionen Wildvögel. Auch weltweit gab es nie ein Massensterben unter Wildvögeln.
Laut Bundeslandwirtschaftsministerium gibt es "zu 99 Prozent" eine Übereinstimmung zwischen dem Virus aus Nürnberg und dem Erreger, der jüngst bei einem Truthahnbetrieb in Tschechien festgestellt wurde. Es gebe auch Handelsbeziehungen zwischen Betrieben in beiden Gegenden.
Man müsste auch einmal schauen, ob es eine Übereinstimmung gibt zwischen diesen neuen Fällen in Sachsen und dem einzigen Fall, den es bisher in Deutschland bei Nutztieren gab. Das war im April 2006 auf einer Geflügelfarm in Mutzschen, im nordwestlichen Sachsen. Komischerweise scheint in dieser Richtung niemand nachzuforschen.
Von Mutzschen nach Frohburg sind es nur gut 40 Kilometer.
Es könnte durchaus sein, dass Viren damals nach außen getragen wurden, sich latent halten konnten und jetzt bei den Vögeln zum Ausbruch gekommen sind. Das ist natürlich auch nur eine Hypothese. Aber wir wissen, dass Wasservögel zumindest für niedrigpathogene Grippeviren ein Reservoir bilden können.
Hat die Vogelzug-Hypothese den Blick auf andere Ursachen verstellt?
Das kann man wohl sagen. Die Vogelzug-Hypothese ist ja geradezu gebetsmühlenartig vorgebracht worden - selbst als der Erreger im August 2006 bei einem Trauerschwan im Dresdener Zoo festgestellt wurde. Auch da erklärte das Loeffler-Institut, der Fall sei ein Zeichen dafür, dass in der Wildvogelpopulation noch Viren vorhanden seien. Dabei gab es damals in ganz Sachsen keinen Nachweis bei einem Wildvogel. Wie der Trauerschwan an diese Viren kommen konnte, ist nach wie vor rätselhaft. Aber immer zunächst auf die Wildvögel zu zeigen, war lange Zeit bequem.
Wie bewerten Sie die Rolle des Friedrich-Loeffler-Instituts?
Ich habe mich schon im letzten Jahr nicht an Verschwörungstheorien beteiligt. Aber ich habe seinerzeit doch mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, wie nachhaltig das Loeffler-Institut die Zugvogel-These verfolgt hat. Inzwischen ist man auch beim FLI etwas vorsichtiger. Den reflexhaften Verweis auf Zugvögel gab es aber nicht nur in Deutschland. Als vor ein paar Monaten auf einer Geflügelfarm in England Fälle auftauchten, hieß es auch sofort, da hat bestimmt ein Zugvogel durch den Schornstein gekackt. Das ist absurd. Kurz danach jedochwurden Handelsverbindungen zu einer Geflügelfarm in Ungarn aufgedeckt, wo es kurze Zeit vorher einen Ausbruch gegeben hatte.
Es liegt also am Handel?
Es ist völlig unbestritten, dass die Praktiken der Massentierhaltung eine große Gefahr darstellen. Die Wege der Geflügelindustrie sind unüberschaubar. Was global an Hühner- und Geflügeltransporten stattfindet, ist unglaublich. Das am meisten transportierte Tier ist das Mastküken in den ersten Tagen seines Lebens. Dagegen hat sich gezeigt, dass die Vogelzugrouten überhaupt nicht mit den Ausbreitungswegen von H5N1 übereinstimmen. Zudem hat man weltweit noch keinen lebenden Wildvogel mit H5N1 gefunden, obwohl allein in Deutschland tausende lebende Vögel untersucht wurden. Offenbar gehen infizierte Vögel sehr schnell ein und können das Virus nicht in nennenswertem Umfang verbreiten.
Aber wenn der Vogelzug keinen relevanten Anteil an der Verbreitung der Vogelgrippe hat, ist die ganze Aufstallerei doch sinnlos.
Richtig.
Dann könnte man, wenn man böswillig ist, unterstellen, dass das Aufstallen vor allem der Geflügelindustrie nutzt. Die Zugvogel-These lenkt ja nicht nur von ihrer möglichen Verantwortung ab. In Zeiten von Vogelgrippe-Panik haben Legebatterien auch einen besseren Ruf. Immerhin hat Minister Seehofer verhindert, dass am 1. Januar 2007 das Aus für die Legebatterien kam.
Es gibt sicher Leute, die von der Aufstallung profitiert haben. Es ist ein bisschen schwierig, hier die Linie zu ziehen. Denn natürlich möchte man keine Risiken eingehen. Als im letzten Jahr infizierte Wildvögel gefunden wurden, war die Forderung nach Aufstallung nachvollziehbar.
Welche Maßnahmen helfen, wenn die Ursachen in der Massentierhaltung liegen?
Wenn in einem Betrieb die Seuche ausgebrochen ist, gibt es eine Handels- und Transportsperre. Das ist ein eher hilfloses Reagieren, da werden nur die Symptome behandelt, nicht die Ursachen.
Die Geflügellobby dürfte auch etwas einflussreicher sein als die Wildvogellobby.
Eigentlich müssten wir anfangen, ganz grundsätzlich über die Massentierhaltung nachzudenken. Wenn viele tausend Vögel auf engstem Raum gehalten werden, ist die Ausbreitung von Krankheiten nun einmal viel eher möglich. Ohne eine Abkehr von der Massentierhaltung wird man die Ursachen der Vogelgrippe nicht beheben können. Nur wird es dazu wohl nicht kommen.
(Die Fragen stellte Hubertus Volmer.)