http://www.nzz.ch/2006/06/29/il/articleE98IJ.html


29. Juni 2006, Neue Zürcher Zeitung



Vogelgrippe-Impfstoff für alle Einwohner

Die Schweiz setzt als erstes Land auf «präpandemischen Impfstoff»

Ein angereicherter Impfstoff gegen die Vogelgrippe soll der Bevölkerung in der Schweiz im Fall einer Pandemie einen ersten Schutz gewähren. Der Bundesrat will acht Millionen Dosen beschaffen.



dgy. Bern, 28. Juni

Fachleute sind sich einig: Noch nie seit der letzten Grippepandemie im Jahre 1968 ist die Gefahr eine globalen Epidemie mit hohen Opferzahlen so gross gewesen wie heute. Seit Monaten bereiten sich die Behörden für den Fall vor, dass das Vogelgrippevirus zu einem von Mensch zu Mensch übertragbaren Erreger mutiert. In Indonesien konnte kürzlich eine erste Übertragung dieser Art nachgewiesen werden. Das Risiko einer Pandemie sei nach seiner Einschätzung durch diese Entwicklung zwar noch nicht grösser geworden, sagte Gesundheitsminister Pascal Couchepin, aber die Bedrohung sei vorhanden und sie müsse ernst genommen werden.

Am Mittwoch beschäftigte sich der Bundesrat erneut mit der möglichen Pandemie und der Beschaffung von Impfstoffen. In diesem Zusammenhang unterscheidet man zwei Phasen: Bis zum Ausbruch einer Pandemie kann kein Impfstoff gegen ein neues, mutiertes und von Mensch zu Mensch übertragbares Virus entwickelt werden. Schon ab 2007 steht dagegen ein H5N1-Impfstoff zur Verfügung, der mit einem Zusatzstoff ergänzt wurde. Dadurch soll sich die Wirksamkeit des Impfstoffs für Virusstämme, die mit dem von Vögeln stammenden H5N1-Virus verwandt sind, erhöhen. Von dem präpandemischen Impfstoff, dessen Entwicklung bei verschiedenen Herstellern vor dem Abschluss steht, will der Bundesrat acht Millionen Dosen beschaffen. - Die gesamte Bevölkerung erhielte dadurch einen ersten Schutz, falls eine Pandemie drohte. Die Impfung wird laut Thomas Zeltner, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit, rund drei Wochen nach der Injektion wirksam. Die Schweiz ist gemäss Aussage von Bundesrat Couchepin das erste Land, welches die Beschaffung eines präpandemischen Impfstoffes für die gesamte Bevölkerung plant. Der Bundesrat beauftragte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) am Mittwoch damit, mit einem oder zwei Unternehmen entsprechende Verträge abzuschliessen.

Der eigentliche Pandemie-Impfstoff kann dagegen erst nach dem Auftreten eines neuen Virus entwickelt werden, wobei dafür sechs bis neun Monate benötigt werden. Es müssen aber schon heute sogenannte Versorgungs-Vereinbarungen getroffen werden, weil die Nachfrage nach einem Impfstoff nach dem Ausbruch einer Pandemie sehr gross sein wird. Der Bundesrat beauftragte das EDI, diese Verträge fertig zu stellen. Ausserdem sollen die Voraussetzungen für eine nationale Produktion eines Pandemie-Impfstoffes ausgehandelt werden. Für eine Produktion nur im Inland seien die vorhandenen Kapazitäten von rund 60 000 Dosen pro Woche aber zu klein, sagte Couchepin.

Die Schweiz gehöre zu den für den Fall einer Pandemie am besten gerüsteten Ländern, erklärte Couchepin und sagte, es bestehe kein Anlass zur Panik. Die Impfstoff-Versorgung gehört zusammen mit der Lagerung des antiviralen Medikamentes Tamiflu zu den Hauptpfeilern bei der Bekämpfung einer möglichen Pandemie. Weitere Massnahmen sind im Pandemieplan (NZZ vom 1. 4. 06) vorgesehen, der im Sommer in einer überarbeiteten Version veröffentlicht wird.